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Weltraumschrott Der Selbstmord-Satellit

Ein kleiner italienischer Satellit soll ausprobieren, wie sich in Zukunft Weltraumschrott verhindern lässt. Bei seinem wichtigsten Manöver hilft ihm ein deutscher Raketenmotor.
Modell von "D-Sat"

Modell von "D-Sat"

Foto: Bayern Chemie

Es soll Menschen geben, die ohne Kaffee nichts zustande bringen. Für Italiener gilt das Heißgetränk gemeinhin als besonders wichtig. So verwundert es kaum, was das Mailänder Unternehmen D-Orbit da  vorrechnet: 30 Ingenieure hätten zwei Jahre lang an ihrem Projekt gearbeitet - und dabei 153.278 Tassen Espresso weggehauen. (Das wären übrigens zehn pro Kopf und Arbeitstag, aber das nur nebenbei.)

Ob die Zahl nun stimmt oder nicht - geschenkt. Interessant ist das Ergebnis der Koffein-Kanonade: Es ist ein kleiner Satellit, 30 mal 10 mal 10 Zentimeter groß. "D-Sat", so sein Name, soll vor allem am Ende seines kurzen Lebens für Furore sorgen. Denn er könnte der Menschheit bei der Bewältigung eines großen Problems helfen: Von einem "Meilenstein im Umgang mit Müll im All", spricht Firmenchef Luca Rossettini selbstbewusst.

Im All wird es nämlich immer voller - und damit auch gefährlicher: Allein 23.000 Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind, schießen derzeit um die Erde. Geschätzte 7500 Tonnen Schrott sind das. Wenn auch nur ein Teil davon mit Satelliten oder gar der Internationalen Weltraumstation ISS zusammenstößt, drohen Schäden an teurer Technik, schlimmstenfalls sogar der Verlust von Leben. Wer den Film "Gravity" gesehen hat, weiß, worum es geht.

Gefahr durch Weltraumschrott
Foto: DPA / Esa

Laut Simulationen gibt es derzeit 150 Millionen Weltraumschrott-Objekte im Erdorbit, die größer als einen Millimeter sind. Weil sie mit durchschnittlich 40.000 Kilometern in der Stunde unterwegs sind, können selbst winzige Teile extrem gefährlich sein. Bei der Esa hat man das etwa im August 2016 mitbekommen. Damals traf ein nur fünf Millimeter großes Schrottpartikel den Erdbeobachtungssatelliten "Sentinel 1-A" und hinterließ eine 40 Zentimeter große Delle in einem Solarpanel. Ab einer Größe von etwa zehn Zentimetern, sagen Experten, kann ein Trümmerteil einen Satelliten in viele tausend Teile zerlegen. Laut Simulationen gibt es 750.000 Trümmer in der Erdumlaufbahn, die zwischen einem und zehn Zentimeter groß sind. Den meisten Weltraummüll gibt es in rund 800 bis 900 Kilometern Höhe.

Einsammeln lässt sich der Müll nicht mehr - aber künftig vielleicht vermeiden. Und hier kommt "D-Sat" ins Spiel. Der kleine Kasten ist vor wenigen Tagen vom indischen Satish Dhawan Space Centre ins All gestartet. Wichtigste Last der PSLV-Trägerrakete war der Erdbeobachtungssatellit "Cartosat 2E". Doch neben dem großen Würfel war eben noch Platz. Und so flog unter anderem auch der Italiener mit in den Orbit. Seitdem kreist er in 500 Kilometern Höhe um die Erde. Noch jedenfalls. Denn "D-Sat" soll sich in einigen Wochen kontrolliert zum Absturz bringen. "De-Orbiting" nennen Fachleute das.

Mit dem Kamikaze-Manöver soll der Satellit eine entscheidende Komponente zur Verhinderung von zukünftigem Weltraumschrott testen. "Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Beherrschung des Raumfahrtschrottproblems ist das Absenken der Bahn nach Ende des Betriebs", erklärt Holger Krag, Weltraumschrott-Experte bei der Esa. Das heißt: Ein Satellit legt am Ende seines Lebens ein gezieltes Bremsmanöver ein, gelangt dadurch in dichtere Schichten der Erdatmosphäre, wo er verglüht. Satellit weg - Weltraumschrott gar nicht erst entstanden.

Soweit jedenfalls die Theorie. In der Praxis ist der Flugkörper zu diesem Zeitpunkt nämlich oft schon so alt und technisch unzuverlässig, dass die Sache nur noch selten klappt. Der älteste Satellit im All - "Vanguard 1" - ist knapp 60 Jahre alt. "Unsere Esa-Daten zeigen uns, dass in den meisten Fällen so ein Manöver nicht oder nicht ausreichend stattfindet", beklagt Krag.

Fotostrecke

Weltraummüll: Gefährliche Geschosse im All

Foto: ESA/ Spacejunk3D

Abhilfe soll daher ein Bauteil leisten, das sich gezielt um den Absturz des Satelliten kümmert und um nichts anderes - ein neuer Raketenmotor. Den probiert "D-Sat" jetzt aus. Das Projekt wird durch EU-Forschungsgeld und eine Crowdfunding-Kampagne gefördert.

Die wichtigste Komponente für das kontrollierte Ende des Satelliten hat das deutsche Unternehmen Bayern-Chemie aus Aschau am Inn gebaut. Die Firma ist eine Tochter des Rüstungskonzerns MBDA, sie befasst sich sonst zum Beispiel mit Lenkflugkörpern. "Satellitenbetreiber stehen vor großen Herausforderungen", sagt Axel Ringeisen von Bayern-Chemie. "Es wird zukünftig notwendig sein, Satelliten mit unabhängigen Antriebssystemen auszustatten, die bei Missionsende einen kontrollierten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre ermöglichen." Und daran will das Unternehmen verdienen.

Der Selbstmord-Satellit, wenn man ihn einmal so nennen will, hat einen kleinen Feststoff-Raketenmotor an Bord. "Idealerweise sind diese Geräte komplett unabhängig von dem Satelliten, auf dem sie montiert sind. Sie müssten also über eine eigene Stromversorgung und Kommunikation verfügen", erklärt Esa-Mann Krag. Damit könnten sie selbst bei einem Totalausfall eines Satelliten immer noch vom Boden dazu gebracht werden, das Entsorgungsmanöver einzuleiten.

Verglüht schon 30 Minuten nach Zündung

Für Satellitenbetreiber hätte solch eine Lösung ihren Charme: Sie könnten die Entsorgung ihrer Technik von einem externen Anbieter kaufen. Gleichzeitig hätten sie den kompletten Treibstoff an Bord für ihre eigentliche Mission zur Verfügung. Sie müssten keine - bislang schwer abzuschätzende - Reservemenge an Sprit im Tank behalten und hoffen, dass alle Systeme auch wirklich bis zum geplanten Absturztag durchhalten.

"Die geplante Demonstration ist ein wichtiger Meilenstein, um Vertrauen bei Satellitenbetreibern für diese Technologie zu entwickeln und deren Einsatz zu fördern", sagt Krag. Das Ziel ist aber ambitioniert - immerhin will D-Orbit-Chef Rossettini bis zum Jahr 2025 ein Kamikaze-Modul in jedem neuen Satelliten sehen.

Doch erstmal müssen die Entwickler zeigen, dass ihre Technik wirklich funktioniert. Feste Treibstoffe, wie nun getestet, gelten jedenfalls als gute Wahl - weil sie auch unter den Extrembedingungen des Alls lange lagerbar sind. Einmal gezündet sollen sie "D-Sat" bereits nach 30 Minuten zum Wiedereintritt in die Atmosphäre bringen. Die dabei entstehende Hitze ist so groß, dass zumindest von Satelliten seiner Größe nichts mehr übrigbleibt.

"D-Sat" soll in etwa 80 Kilometern Höhe verdampfen.